Eine Kurzgeschichte

Europa beim Suchtmediziner

GoldGeldWelt Redaktion - 20.05.2016

„Hallo, ich bin Dr. Gold“, stellte sich der Suchtmediziner vor und deutete freundlich auf den Stuhl vor ihm. „Wie heißen Sie?“ „Europa“, murmelte die sichtlich ausgemergelte Patientin und nahm platz. Es war erstaunlich, dass ein gesamter Kontinent und Wirtschaftsraum auf einem Stuhl sitzen konnte, aber die anderen Länder und Kontinente, die mehr oder weniger geduldig im Wartezimmer der Suchtpraxis warteten, konnten es schließlich auch.

„Was kann ich für Sie tun?“, startete Dr. Gold mit der Frage, mit der so ziemlich jeder Arzt seine Gespräche beginnt.

„Wir haben Flüchtlinge... Aber deswegen sind wir nicht hier, ich glaube wir haben ein noch größeres Problem.“ Europa zögerte kurz bevor sie fortfuhr. „Wir sind süchtig nach ungedecktem Geld und brauchen Hilfe.“ Europa hatte offensichtlich multiple Persönlichkeiten. Manche exportierten lieber, manche importierten lieber.

„Wie lange sind sie denn schon abhängig?“, fragte Dr. Gold seine Patientin. Europa runzelte die Stirn und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. „Keine Ahnung, wir haben schon als Jugendliche viel ausprobiert.“

„Und seit wann konsumieren Sie regelmäßig frisches, ungedecktes Geld?“, fragte der Arzt. „Seit Jahrzehnten!“, antwortete Europa und blickte verständnislos. „Die in der EZB sagen, das ist ganz normal und das kann man ruhig machen, wenn man sich schlecht fühlt. Konjunktur ankurbeln und so...“ Dr. Gold war nicht beeindruckt. „Sie wissen schon, dass die EZB kriminell und gefährlich ist? Die drucken immer mehr Geld und kaufen damit Schulden von Pleitestaaten auf, obwohl das eindeutig illegal ist.“

Europa rechtfertigte sich sofort: „Wir haben gar nicht so viel drucken lassen, andere haben viel mehr gedruckt, ehrlich! Eigentlich hatten wir uns immer voll im Griff. Hatten nur was genommen, wenn es uns schlecht ging oder wir grade Lust auf Wachstum und kein Bock auf Rezession hatten. Und zwischendurch haben wir auch mal echt lange Pausen gemacht! Die in der EZB haben gesagt alles supi!“

„Wann wurde es denn nicht mehr so supi?“, fragte Dr. Gold.

„Naja, in der Finanzkrise im Jahr 2008. Die kam echt total überraschend. Das war irgendwas mit non performing loans, stammelte Europa in schlechtem Englisch mit französischen Akzent. „Sie wissen ja, die Banken hatten zu viele davon, weil die die besten Zinsen geben – und dann sind plötzlich ganz viele pleite gegangen. Erstmal nur Banken bei meinen amerikanischen Kumpels drüben im Wartezimmer und dann fing das auch bei uns an und wir hatten alle voll die Panik!“

„Und was haben Sie dann gemacht?“, fragte Dr. Gold mit ernster Mine. „Geld gedruckt und an die armen Banken verteilt natürlich!“, konstatierte Europa. „Die Banken und Versicherungen waren echt total systemrelevant und wir hatten mega Schiss! Das ging überhaupt nicht anders.“

„Haben Sie denn nur Geld gedruckt?“, fragte Dr. Gold. „Nee, die in der EZB wollten die Zinsen abschaffen und wir haben sie mal machen lassen. Echt klasse Jungs und Mädels in dem Laden. Die sagen, ein Herr Keynes habe ihnen das ganze schlaue Zeug beigebracht.“

„Hat das Geld drucken und Zinsen senken denn wenigstens geholfen?“ „Ja total! Wir sind wieder mega im Wachstum. Party hard Alter!“ Dr. Gold runzelte die Sirn. „Dann können Sie die Leitzinsen doch wieder heben lassen oder?“ „Nee das geht nicht.“ „Warum?“ Europas Mine nahm einen sichtlich verärgerten Ton an „wegen der Deflation. Die blöde Kuh wartet die ganze Zeit schon draußen und will mitmachen, obwohl sie genau weiß, dass sie die Party nur stört. Wenn die reinkommt, gibt’s ne deftige Rezession, ich sags Ihnen! Wir brauchen schließlich mehr Wachstum, das ist doch allgemein bekannt!“

„Würden sie mir denn zustimmen, dass unendliches Wachstum sowieso nicht geht?“, fragte Dr. Gold. „Wie wärs denn, wenn Sie mal einen Entzug machen? Ich weiß das klingt unangenehm aber warum nicht ab und zu mal eine Rezession zulassen und notfalls auch die Deflation mal mitmachen lassen, damit sie das Gefühl hat dazuzugehören? Ich weiß, die Deflation ist hässlich aber sonst wird sie irgendwann wütend, tritt die Tür ein und vermasselt euch die Party endgültig...“

Das Thema war Europa sichtlich unangenehm. Wieder rutschte sie auf dem Stuhl hin und her. „Ich glaub ja irgendwie auch, dass Kredite von bankrotten Staaten ein schlechtes Investment sind, aber nen Entzug kann ich auf keinen Fall machen!“ Nachdenklich schaute sie nach Süden zu ihrem entzündeten großen Zeh, der nach Ouzo roch. Manche anderen Zehen sahen auch nicht viel besser aus. „Aber ich kann ihn doch nicht einfach abschneiden lassen!“, jammerte Europa. „Wir sind eine Solidargemeinschaft! Der Zeh braucht nur alle paar Jahre einige hundert Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm, dann tut er vorübergehend etwas weniger weh...“

„Aber heilt das denn die Entzündung?“, fragte der Arzt und schaute Europa forschend über seine Brille an. „Nein, eigentlich machen neue Schulden die Entzündung nur schlimmer...“, gab Europa kleinlaut zu.

„Was ist denn mit den Politikern und dem Parlament, können die vielleicht helfen?“, fragte Dr. Gold. Europa schnaubte verächtlich. „Da gibt’s nur ganz wenige, die das Problem mit der Sucht nach ungedecktem Geld überhaupt so richtig verstehen! Und wer es versteht, muss aufpassen was er sagt, sonst ist er ruckzuck ein Populist und seinen guten Ruf los. Außerdem wird doch keiner gewählt, der einen entzündeten Zeh abschneiden will, damit er langsam nachwachsen kann! Die Leute wollen doch Wachstum und Party und keiner mag Rezessionen, die kosten Arbeitsplätze!“

„Aah Arbeitsplätze... das Totschlagargument.“ Dr. Gold machte sich einige Notizen und ließ Europa weiter reden. „Die in der EZB sagen, man kann unendlich lange Party machen und solange neues Geld gedruckt wird und die Zinsen schön niedrig sind, kann die blöde Kuh nicht rein.“ „Aber die Deflation klopft doch ständig“, entgegnete der Suchtmediziner. „Ja aber sie kann nicht rein. Die von der EZB sagen man muss nur Vertrauen haben und möglichst viel konsumieren. Und die Zinsen sollten am besten negativ sein, damit sich sparen nicht mehr lohnt und die Leute und Firmen mehr kaufen und die Wirtschaft anfeuern!“

Jetzt wirkte Dr. Gold verwirrt. „Warum sollte dann noch jemand mit ungedecktem Geld sparen, wenn die Zinsen negativ werden? Dann würde doch jeder... naja Gold kaufen.“ „Sparen ist doch sowieso out“, bemerkte Europa tadelnd. „Mehr Konsum führt zu mehr Wachstum und mehr Wachstum schafft Arbeitsplätze und Wohlstand“, betete Europa herunter, wie auswendig gelernt.

„Also kein Entzug?“ Europa schüttelte den Kopf. „Wenn die olle Deflation anfangen sollte zu randalieren, haben die von der EZB noch mehr Asse im Ärmel.“ Wie von einer neuen Idee beflügelt, sprang Europa von ihrem Stuhl auf. „Helikoptergeld für alle! Ich glaube ich schaffs noch ne Weile, trotzdem danke fürs Gespräch Doc! Vergessen sie nicht, man lebt nur einmal!“

Nachdenklich murmelte der Suchtmediziner: „Und was ist mit Inflation?“

Aber da war die Patientin schon verschwunden.

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