Sollten Sie meinen Artikel vom Ende letzten Jahres über den in vollem Gange befindlichen chinesischen Angriff auf den US-Dollar gelesen haben („Chinas goldene Alternative zum Petro-Dollar“), werden Sie sich vermutlich ebenso wie ich folgende Frage stellen: Wie schaffen es seriöse Wirtschaftsjournalisten - trotz all der Aufgeregtheit um das Thema Handelskrieg – dieses unübersehbare Schwergewicht unter den möglichen Ursachen, nahezu auf breiter Front konsequent auszublenden bzw. zu übersehen?
Sollte es daran liegen, dass man mit einer solchen Ursachenforschung der offiziellen Narrative der USA widersprechen müsste, so kann ich die Redakteure und Berichterstatter nur ermutigen: Es sollte in einer Demokratie mit freier Presse durchaus erlaubt sein, die Beweggründe selbst des dominantesten Nato-Partners zu hinterfragen. Insbesondere dann, wenn wir bereits jetzt in diesen, am Ende für alle Seiten schädlichen Handelskrieg mit hineingezogen und als „Weltmeister der Exportüberschüsse“ sicher zu den größten Verlierern zählen werden.
Dass die Regierung Trump es lieber rhetorisch vermeidet, den Rest der Welt auf die akute Abwertungsgefahr ihres Dollars hinzuweisen, dürfte einleuchten - käme diese Ehrlichkeit doch einem vertrauensgefährdenden Schwächeeingeständnis bei zeitgleicher Aufwertung der Gegenseite gleich. Die Wahrheit ist leider immer eines der ersten Opfer von Kriegen und die Vereinigten Staaten befinden sich schließlich gleich in mehreren davon: Im Krieg gegen den Terror, im Stellvertreterkrieg gegen Russland und Iran in Syrien, im Handelskrieg gegen China und eben auch im Währungskrieg um die Vormachtstellung des US-Dollars.
Bezieht man die Währungskrieg-Komponente in die Analyse der aktuellen Zerwürfnisse mit ein, ergibt sich aus meiner Sicht ein deutlich schlüssigeres Gesamtbild: China ist gemeinsam mit Russland und dem Iran seit ca. 2013 in offene Opposition zum US-Dollar getreten und hat in beeindruckender Geschwindigkeit ein vollständiges Alternativ-Währungssystem für den internationalen Handel, den Petro-Yuan aufgebaut. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass die Schutzzölle gerade jetzt ins Feld geführt werden, wo der Petro-Yuan mit dem ersten in Yuan gehandelten Öl-Future in Shanghai vollendet und erfolgreich an den Markt gebracht wurde.
Das ist für den Petro-Dollar seit seinem Bestehen die erste ernstzunehmende Konkurrenz, gegen die es keine direkten (militärischen oder geheimdienstlichen) Gegenmaßnahmen zu geben scheint. Den Staaten droht damit ihr gar nicht hoch genug einzuschätzendes Privileg abhanden zu kommen, mit aus dem Nichts geschaffenen Dollar reale Güter und Dienstleistungen vom Rest der Welt weit über ihrer eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erwerben zu können. Je mehr Öl in Yuan gehandelt wird, desto weniger US-Dollar und US-Staatsanleihen werden als Reserve benötigt.
In diesem Kontext halte ich es für sehr gut möglich, dass sowohl die Zinsanhebungen der Federal Reserve als auch der zunehmende Handelsprotektionismus vielmehr als reaktive Notwehrmaßnahmen zu verstehen sind. Wie ich bereits in mehreren Marktberichten erläutert habe, hält die von der Fed zur Begründung der Zinsanhebung verwendete Geschichte von drohender Konjunkturüberhitzung einer kritischen Überprüfung der wirtschaftlichen Realität in den USA nicht stand. Auch das oft vernommene Argument, die Fed versuche sich damit einen Handlungspuffer für die nächste Krise zu verschaffen, hinkt offensichtlich, riskiert sie doch ebendiese Krise erst durch die steigenden Zinslasten auf den rekordhohen Verschuldungsniveaus auszulösen.
Ein zunehmender Abwertungsdruck auf Dollar und Staatsanleihen durch den sich beschleunigenden Bedeutungsverlust als Reservewährung bietet da schon eine wesentlich plausiblere Erklärung. Die Zinsanhebungen setzten dem Überangebot am Dollarmarkt eine (hoffentlich) steigende Nachfrage entgegen, ohne die eine gefährliche Abwärtsspirale aus fallenden Kursen, sinkendem Vertrauen und der Flucht in Alternativen (wie Gold) in Gang gesetzt werden könnte.
Auch die Schutzzölle lassen sich aus dieser Richtung besser verstehen. Es waren halt nicht nur die „unfairen“ Chinesen, die sich über Wechselkursmanipulationen und Subventionen unzählige wertvolle Industriearbeitsplätze „erschlichen“ haben. Auf der Gegenseite waren es eben auch die sehr einflussreichen US-Eliten, welche Ihre Fabriken bereitwillig in das Niedriglohnland verlagerten um Kosten einzusparen und so in den vergangenen Jahrzehnten weit höhere Gewinne und Marktanteile erreichen konnten, als es Ihnen jemals mit reinem „made in America“ gelungen wäre.
Die resultierenden Handels- und Haushaltsdefizite waren offensichtlich weder für die republikanischen noch für die demokratischen Regierungsvertreter vor Trump ein Problem, solange China (wie fast alle anderen Länder auch) dem Petro-Dollar-System treu blieb und seine Überschüsse regelmäßig in US-Staatsanleihen investierte. Ob aus Angst vor einer Dollar-Entwertung in Folge der ultra-lockeren Geldpolitik oder im Rahmen einer konsequenten Anti-Dollar-Strategie sei dahingestellt - jedenfalls hat China seine Seite dieser Übereinkunft seit 2013 nicht mehr eingehalten und die Bestände an US-Staatsschulden sogar merklich reduziert.
Ohne diese Unterstützung für den Dollar wurden die weiter wachsenden Handelsbilanzdefizite plötzlich doch zu einem ernsten Problem für die USA. China speichert seine Dollarüberschüsse jetzt nicht mehr, sondern reicht sie direkt weiter in den Markt mit den bereits oben beschriebenen Folgen eines zunehmenden Überangebots. Damit fällt einer der wichtigsten Abnehmer für US-Staatsschulden aus und das in einer Zeit, in der Trump (wie schon seine beiden Vorgänger) ihren Haushalt nur durch massive Neuverschuldung am Laufen halten können. Zu allem Übel hat die Fed nicht nur bereits in 2014 ihr letztes Anleihekaufprogramm beendet, sondern will den Bestand jetzt auch noch kontinuierlich reduzieren - sorgt also für weiteres Angebot am bereits übersättigten Markt.
Kurzum: Die traditionelle Schuldennation USA könnte durch die Schwächung des Dollars plötzlich ein ernst zunehmendes Überschuldungsproblem haben. China akzeptiert für seine Exporte keine vagen Versprechungen mehr, sondern fordert reale Werte im Gegenzug. Da die USA diese Gegenwerte nur sehr begrenzt liefern kann, könnten sie sich dazu gezwungen sehen, ihre Handelsbilanz auszugleichen. Importzölle sind in dieser Situation ein probates Mittel, da sie die chinesischen Güter künstlich verteuern und gleichzeitig zusätzliches Geld in die leeren Staatskassen spülen.
Die Kehrseite dieser Politik ist in meinen Augen jedoch sehr gefährlich: Die US-Konsumenten können sich weder steigende Zinsen, noch höhere Produktpreise leisten und so sehe ich deutliche Rezessionsgefahren für die USA in den nächsten Jahren. Einzig die angekündigten und durch Neuverschuldung finanzierten Konjunkturprogramme könnten hier mildernd wirken. Ohne eine Rückkehr zur Staatsfinanzierung aus der Notenpresse werden diese neuen Schulden jedoch nur mit Hilfe weiter steigender Zinsen an den Markt zu bringen sein, wodurch sich wiederum das Überschuldungsproblem im Inland massiv zuspitzen dürfte.
Die Wahl zwischen wirtschaftlicher Rezession mit gleichzeitiger Schuldenkrise und Inflation dürfte der US-Regierung sehr leicht fallen. Die Frage ist daher, ob bzw. wann die derzeit auffällig kontraproduktiv agierende Fed dem Druck nachgibt. Da sie ihre Entscheidungen schon seit Jahren auf der Basis bewusst geschönter Konjunktur-, Arbeitsmarkt- und Inflationsdaten fällt, könnte möglicherweise erst der Druck einer neuerlichen Krise notwendig sein, um sie zum Kurswechsel zu bewegen.
Auf der chinesischen Seite der Gleichung wird es spannend, ob die Zentralregierung die potentiell sinkenden US-Exporte durch das neue Seidenstraßenprojekt ausgleichen kann. Die massiven Überkapazitäten in diversen Sektoren sowie die gigantischen Preis- und Schuldenblasen im Land der Mitte laufen ebenfalls (wie in den USA) auf die Wahl zwischen einem inflationärem „Weiter so“ und einem crashartigen Neustart hinaus. Sollte der chinesische Weltwachstumsmotor ins Stocken geraten, werden die Folgen auch im Rest der Welt und vor allem hier in Deutschland deutlich zu spüren sein.