Der Wert unseres ungedeckten Geldes ist eine Illusion, die jederzeit ein plötzliches und unerwartetes Ende finden kann. Diese unangenehme Wahrheit mussten 1,3 Milliarden Inder in den letzten zwei Monaten schmerzlich am eigenen Leibe erfahren, als am 8. November ca. 88% des umlaufenden Bargeldwertes für ungültig erklärt wurde. Das mediale Echo ist bei uns, im Schatten der (möglicherweise nicht ganz zufällig) zeitgleichen US-Wahlen und des wachsenden italienischen Problemberges, bisher recht gering ausgefallen. Von daher lohnt sich ein etwas genauerer Blick in das Land südlich des Himalayas, da uns die dortigen Entwicklungen sowohl als Warnung dienen können, als auch spürbare Auswirkungen auf den Goldmarkt haben.
Über Nacht und ohne Vorwarnung wurden durch die Regierung von Premierminister Narendra Modi die beiden größten Scheine (500 und 1000 Rupien = ca. 7 u. 14 €) als Zahlungsmittel verbannt und ihre Annahme bis auf wenige kurzfristige Ausnahmen, wie beispielsweise in Krankenhäusern und Apotheken, unter Strafe gestellt. Dennoch reden wir nicht von einer vollständigen und sofortigen Entwertung, denn die alten Scheine konnten noch bis zum Jahreswechsel bei einer Bank eingezahlt oder streng dokumentiert in kleinere oder die neuen 500 und 2000 Rupien Scheine umgetauscht werden.
Begründet wurde der radikale Schritt mit der Bekämpfung der im Land weit verbreiteten Korruption und dem zunehmenden Umlauf von Falschgeld. Der langfristige Erfolg bleibt zwar noch offen, aber zumindest in der kurzen Frist scheint die Maßnahme das genaue Gegenteil bewirkt zu haben. Schon in den ersten Wochen mehrten sich die Berichte über korrupte Banker, die widerrechtlich den unregistrierten Umtausch ermöglichten oder höchst unmoralische Geschäftemacherei durch windige Geldwechsler auf der Straße. Auch die angeblich verbesserte Sicherheit der neuen Noten muss nach dem Auftauchen diverser Fälschungen schon jetzt in Frage gestellt werden.
Derweil sind die Folgen für die Bevölkerung katastrophal. In einigen Teilen ist die Wirtschaft mangels gültiger Barmittel fast vollständig zum Erliegen gekommen. Vorsichtige Schätzungen gehen von über einem Prozent weniger Wirtschaftswachstum für 2016 aus. Unerträglich lange Schlangen und gewaltsame Tumulte vor Banken und Automaten gehören mittlerweile fest zum indischen Alltag. Umgerechnet nur 60 Euro können täglich maximal abgehoben werden, vorausgesetzt es sind überhaupt noch gültige Barmittel vorrätig. Berichten zu Folge hat es sogar mehrere Todesfälle als direkte Folge dieser staatlich verordneten „Schocktherapie“ gegeben.
In einer Gesellschaft, in der mehr als zwei Drittel des Zahlungsverkehrs in Bar abgewickelt wurde und in der über die Hälfte der Bürger nicht einmal ein Bankkonto besitzt, wären chaotische Zustände selbst bei sauberer Durchführung bereits vorprogrammiert gewesen. Es ist bedenklich, dass die Regierung Modi es bei einem so einem einschneidenden Eingriff, der vor allem die vollständig vom Bargeld abhängige ärmere Bevölkerungshälfte trifft, nicht für nötig erachtet hat, Vorsicht walten zu lassen und den Umtausch besser vorzubereiten. Es mangelte von Anfang an überall an den neuen Banknoten und die Regierung hat ihre Planlosigkeit durch dutzende Noterlässe, die sie teilweise schon kurz darauf widerrufen musste, unter Beweis gestellt.
In diesem Zusammenhang muss auch die Frage erlaubt sein, ob die von der Regierung angegebenen Gründe in Anbetracht dieses offensichtlich schlecht vorbereiteten Schnellschusses nicht vielleicht vorgeschoben sind. Man sollte meinen, der seit 2014 im Amt befindliche und mit dem erklärten Ziel der Korruptionsbekämpfung angetretene Premier Modi hätte mittlerweile ausreichend Zeit und Möglichkeit gehabt, einen solchen Schlag gegen das Schwarzgeld von langer Hand zu planen. Möglicherweise – und das ist jetzt reine Spekulation meinerseits – haben akute Probleme im indischen Bankensektor ein vorgezogenes Handeln erforderlich gemacht. Immerhin haben diverse Institute seit einigen Jahren mit einem sprunghaften Anstieg fauler Kredite und wachsenden Verlusten zu kämpfen. Es kommt daher sicherlich nicht ungelegen, dass die Maßnahme Modis zu einer Art umgekehrten Bankrun führt, bei dem die Leute massenhaft ihr Bargeld einzahlen müssen und damit die Kapitalbasis der Institute stabilisieren.
Auch die im Dezember nachgereichte Ankündigung des Ziels einer komplett bargeldlosen Gesellschaft passt in dieses Bild, so utopisch und rücksichtslos sie in Anbetracht oben aufgeführter Realitäten auch sein mag. Im Falle einer Bankenkrise können die Bürger einer cash-losen Gesellschaft ihr Geld und Vertrauen nicht mehr dem maroden Bankensystem entziehen. Ein Schicksal das übrigens auch uns droht, sollte sich der offenkundige Trend zur Bargeldeinschränkung und -abschaffung weiter fortsetzen. Der Abschied vom Bargeld würde eine der größten Gefahren für die weltweit etablierten und stets krisenanfälligen fraktionellen Reservesysteme ausschließen.
Für all diejenigen Besitzer von 500 und 1000 Rupien Scheinen, die den Umtausch nicht rechtzeitig bewerkstelligen, kommt die Bargeldreform letztendlich einer faktischen Enteignung gleich. Das für langfristiges wirtschaftliches Planen und Investieren unabdingbare Vertrauen in die eigene Währung und die Regierung ist bis ins Mark erschüttert und es würde mich wundern, sollten die Inder jemals wieder in gleichem Maße auf Bargeld setzten, wie vor dieser Zäsur. Läuft es nach dem Plänen der Regierung, wird sich der zwangsweise angestoßene Trend zu Kartenzahlungen und Online-Bezahldiensten fortsetzen und irgendwann das Bargeld auch aus den letzten Ecken des Landes verdrängt haben.
Dieser Modernisierung im Wege steht die traditionelle Verbundenheit der Inder mit Gold. Indien ist der weltweit größte Markt für Goldschmuck und die Inder sind in den vergangen Jahrzehnten mit den insgesamt größten privaten Goldbeständen (Schätzungen reichen von 15.000 bis 40.000 Tonnen) sehr gut aufgestellt gewesen, während die Inflationsraten teils bei über 10 Prozent lagen und die Rupie phasenweise stark abwertete. Es wäre hoch interessant zu erfahren, wie viele Inder ihre Geschäfte trotz der „Bargeldklemme“ fortsetzen konnten, weil sie auf Gold als bewährtes Zahlungsmittel zurück greifen konnten. Leider wird es jedoch mangels offizieller Erfassung dieser Parallelwirtschaft keine verwertbaren Daten geben.
Es ist wenig verwunderlich, dass die erste Reaktion auf den Bargeldschock ein wahrer „Run“ auf das gelbe Metall war. Es wurden teils extrem hohe Aufschläge auf den internationalen Börsenpreis in Kauf genommen, um noch irgendwie mit den alten Geldscheinen an das begehrte Gut zu kommen. Doch blieb der Goldrausch nur von kurzer Dauer, da der Bevölkerung in den folgenden Wochen schlichtweg die nötigen gültigen Barmittel für den Goldkauf fehlten und die Regierung die Anleger zusätzlich durch weitere Restriktionen für den privaten Goldbesitz verunsicherte.
Der Staat hatte bereits vor einigen Jahren damit begonnen, dem stetig wachsenden „Gold-Durst“ seiner Bevölkerung durch Importsteuern und -restriktionen entgegenzuwirken, zunächst um der Flucht aus der schwachen Rupie entgegen zu wirken. Im Rahmen der Anti-Schwarzgeld-Kampagne müssen seit August zudem alle privaten Goldkäufe registriert und ab einem Wert von ca. 2.800 Euro an das Finanzamt gemeldet werden.
Die Hochzeitssaison, in der ein Großteil der jährlichen Schmuckverkäufe stattfindet, ist für die Händler 2016 nahezu vollständig ausgefallen. Die Goldimporte sind in der Folge um satte 59 % gegenüber dem Vorjahr auf ein neues 13 Jahres Tief eingebrochen. Der indische Goldhandel befindet sich damit dank der staatlichen Willkür urplötzlich in einer existenzbedrohenden Krise. Eine unerwünschte, aber zu erwartende Reaktion ist der sprunghafte Anstieg des Goldschmuggels, der mittlerweile auf über 300 Tonnen für 2016 geschätzt wird.
Dennoch fehlen zum Vorjahr 200 bis 300 Tonnen indischer Goldnachfrage auf den Weltmärkten, was mit Sicherheit zu der schwachen Preisentwicklung im zweiten Halbjahr beigetragen hat. Ob sich diese Nachfrage nur aufgestaut hat und, bei einer Normalisierung der Verhältnisse, in 2017 sprunghaft zurückkehren wird, bleibt abzuwarten. Es ist wahrscheinlicher, dass die Regierung Modi die Importe erfolgreich weiter eindämmen kann. Allerdings würde sie damit auch eine Ausweitung des Schmuggels und das Entstehen einer goldbasierten Parallelwirtschaft im Inland fördern und letztendlich die Unterstützung für ihren Feldzug gegen die Korruption riskieren.
Natürlich ist Indien nicht mit Europa vergleichbar, aber dennoch sollte uns die Plötzlichkeit und Tragweite solcher Geldreformen eine Warnung sein. Auch der Euro könnte, beispielsweise bei einem Austritt Italiens, schnell in eine Krise geraten, die unsere Regierung zu bis dahin undenkbaren Maßnahmen und Vermögensübergriffen zwingen könnte. Indien und Zypern liefern uns dabei mahnende Beispiele dafür, das sowohl Bargeld als auch Kontoguthaben in solchen Zeiten nahezu wertlos werden können. Physisch verfügbares Gold und Silber hingegen haben für ihren Besitzer immer einen Wert, selbst bzw. insbesondere in Zeiten, in denen der Staat sich gezwungen sieht, gegen sie vorzugehen.