GoldGeldWelt Redaktion
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08.09.2021
Eine solide Währung ist fruchtbar für ein jedes Wirtschaftssystem. Damit den Euro so schnell nichts erschüttert, hatte die Europäische Union den sogenannten „Stabilitätspakt“ verabschiedet. Der soll die EU-Mitgliedsstaaten zu einer stabilitäts-orientierten Finanzpolitik anhalten, die ihrerseits mit der auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Basis für nachhaltiges und förderliches Wachstum bildet. Heißt: Die einzelnen Länder sollen gewissenhaft wirtschaften und sich nicht zu stark verschulden, damit die Inflation begrenzt wird und Arbeitsplätze (und somit soziale Sicherheit) gewährleistet sind. Doch nicht alle Beteiligten sind glücklich mit diesem Konstrukt. Wie es scheint, plant Italien einen Vorstoß, um den Pakt aufzuweichen – aber erst nach der deutschen Bundestagswahl.
Im Zuge der Corona-Krise waren die Vorgaben des EU-Stabilitätspakts schwierig umzusetzen. Deswegen gab es während der Pandemie Lockerungen, welche die Finanzspielräume der Mitgliedsstaaten temporär erweiterten. Mit Lockerungen sollte es den EU-Ländern ermöglicht werden, die Folgen der COVID-19-Pandemie abzufedern. Allerdings läuft die Frist aus: Ab 2023 soll wieder alles so reguliert werden wie zuvor.
„Pandemie-Modus“ entlastet Süd-EU-Finanzpolitik
Doch der aktuelle Zustand ist komfortabel: Die italienische Regierung unter Mario Draghi möchte ihn deshalb offenbar gern bewahren; Zuletzt hatte auch der italienische EU-Kommissar Paolo Gentiloni gefordert, die Kriterien des Stabilitätspaktes an die „neuen Realitäten“ anzupassen.
Nicht nur Italien würde sich eine Beibehaltung des aktuellen Standards wünschen. Auch andere Regierungen, vornehmlich jene südlicher Mitgliedsstaaten, dürften eine fortdauernde Aussetzung begrüßen.
Ein Mittel dazu wäre die Abschaffung der Vorgabe einer maßvollen Neuverschuldung. Italien versucht bereits seit längerem, gegen die strengen Stabilitätskriterien anzugehen, die das Haushaltsdefizit der EU-Staaten auf drei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung und 60 Prozent Gesamtverschuldung (gemessen am nationalen Bruttosozialprodukt) limitieren sollen. Durchsetzen konnte Italien sich diesbezüglich noch nicht. Doch nun will man dem Anschein nach die Opposition der nördlichen Länder überwinden, wie die Tageszeitung „Repubblica“ zu berichten weiß.
Ein raffinierter Trick
Es gibt einen Plan: Dreh- und Angelpunkt ist dabei jene Vorgabe, nach der die EU-Staaten bis zum Erreichen der 60-Prozent-Hürde jährlich ein Zwanzigstel ihrer Verschuldung abbauen sollen. Die Idee: Dieses 60-Prozent-Limit soll bestehen bleiben, aber der Druck durch das festgelegte jährliche Schuldenabbau-Soll aus dem Pakt genommen werden; Nach Vorstellung der Italiener wäre das ein Kompromiss, mit dem die Befürworter der etablierten Kriterien an den Prozenten festhalten, die Gegner (etwa Griechenland, Spanien und Portugal) aber ihr eigenes Tempo in den Schuldenabbau bringen könnten, ohne Sanktionen aus Brüssel befürchten zu müssen.
Der italienische Finanzminister Daniele Franco wird am kommenden Freitag beim Treffen mit seinen Amtskollegen in Slowenien sondieren, wie diese wohl zu solchen Plänen stehen. Benötigt würde nur eine qualifizierte Mehrheit, um die Maßgabe zu schwächen. Die Anfechtung eines Maastricht-Kriteriums hingegen müsste einstimmig erfolgen – das ist kaum erreichbar.
Woher man all das weiß? Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Marie soll bei einem Treffen mit Unternehmern entsprechende Pläne von Draghi und Gentiloni offengelegt hatte. So berichtet zumindest die „Repubblica“.
Regierungen liebäugeln mit Abschaffung der Zwanzig-Prozent-Reduktion
Die Beibehaltung der gelockerten Kriterien wäre übrigens eine Vorstellung, die möglicherweise auch für Frankreich nicht unattraktiv ist. Tatsächlich wäre im Hinblick auf den Präsidentschaftswahlkampf auch für Emanuel Macron – der im kommenden Jahr gern wiedergewählt werden würde – mehr finanzieller Spielraum hilfreich. Angeblich gab es italienischen Medien zufolge bereits Gespräche zwischen dem französischen und italienischen Staatsoberhaupt über mögliche Modifikationen des Stabilitätspaktes.
Auch Draghi (ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank) ist auf finanzielle Entlastung seines Staatshaushalts angewiesen. Die italienische Wirtschaft wurde im Zuge der Corona-Maßnahmen arg in Mitleidenschaft gezogen. Zugleich muss Draghi die vielen verschiedenen Interessen der Regierungsparteien unter einen Hut bringen– und das kurz vor den Kommunalwahlen in zahlreichen italienischen Großstädten im kommenden Oktober. Der Premierminister steht also im Zentrum und muss es so vielen Seiten wie möglich recht machen.
Abwarten, was Deutschland wählt
Allerdings – bevor eine italienische Attacke auf den Euro startet, will man zunächst wohl die deutsche Bundestagswahl und die künftige Zusammensetzung der Regierung abwarten. Zu unvorhersehbar ist, was von der künftigen Bundesregierung mit den verschiedenen denkbaren Koalitionen zu erwarten ist oder welche Partei den nächsten Kanzler oder Kanzlerin stellt. Vorausschauend (und wohl nicht unbegründet) rechnet Rom offenbar vor Dezember nicht mit der Klärung der politischen Verhältnisse. Eine sozialistische Bundesregierung in der Konstellation Rot-Rot-Grün mit einem Kanzler aus der SPD oder von den Grünen käme Draghis Plänen vermutlich am meisten gelegen.
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