Ölpreis als Waffe der US-Außenpolitik?

Das schwarze Gold - Teil 2

- 20.08.2017

Man kann sich ja vortrefflich über die wahren Hintergründe der US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte streiten, aber kaum jemand würde wohl heute noch standhaft behaupten, dass es Bush und Co. ernsthaft um die damals der Öffentlichkeit gegenüber aufgeführten Argumente ging. Nicht bei dieser erschütternd desaströsen Bilanz nahezu sämtlicher US-Interventionen - seien es mehr oder minder verdeckte „Regime-Changes“ wie in der Ukraine und Libyen oder offene Militäreinsätze von Afghanistan über den Irak bis nach Syrien. Der Terror wurde nicht besiegt, sondern weitete sich als Folge der Kriege erst richtig aus. In keinem dieser Länder ist der Frieden in Reichweite, von der großmütig versprochenen Demokratie mal ganz zu schweigen. Auf diese Ziele bezogen könnte man wohl ohne viel Gegenwehr von einem wiederholten Komplettversagen der USA ohne jeglichen Lernerfolg sprechen.

Anders sieht es aus, wenn man diese hegemonialen Eingriffe einmal durch die geopolitische Brille betrachtet. Ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen, zieht sich doch für jeden leicht auffindbar ein klares Motiv wie ein roter Faden durch all diese Konflikte. Energie! Um genau zu sein, geht es den USA offensichtlich um die Kontrolle großer Öl- und Gasvorkommen sowie deren Versorgungswege. Anscheinend rechnen die US-Geostrategen nicht damit, dass die fossilen Brennstoffe in naher Zukunft an Bedeutung verlieren werden. Ganz im Gegenteil! Anders ließe sich all dieser Aufwand für die fossilen Kohlenwasserstoffvorkommen am anderen Ende der Welt kaum rechtfertigen.

Vor diesem Hintergrund ist in meinen Augen auch der aktuelle Shale-Boom (Öl- und Gas aus Schiefergestein) in den Vereinigten Staaten zu bewerten, welcher maßgeblich für das anhaltende Überangebot und die verhältnismäßig niedrigen Energiepreise verantwortlich ist. Es ist doch mehr als nur auffällig, dass die „revolutionäre“ Fracking-Technologie, dank derer die USA sich binnen eines Jahrzehnts von Energie-Importen nahezu unabhängig machen konnten, fast ausschließlich in den Staaten zum Einsatz kommt. Wäre diese enorm aufwendige Form der Energiegewinnung tatsächlich eine nachhaltige und wirtschaftliche Alternative zu den herkömmlichen Fördermethoden, hätten sich doch spätestens bei den hohen Preisen vor der Finanzkrise und zwischen 2011 und 2014 diverse andere Staaten dieser ungehobenen Schätze bedient, oder?

Tatsächlich werden in den USA nicht nur die weitreichenden Risiken für Umwelt und Wasser durch das Fracking regierungsseitig ignoriert, obwohl diese bei der Bevölkerung im In- und Ausland, beispielsweise in Deutschland, großen Widerstand gegen den flächendeckenden Einsatz mobilisiert haben. Der Investitionsboom in die unzähligen kleinen Förderunternehmen wurde auch wesentlich durch völlig überoptimistische Schätzungen der EIA (Amerikanisches Energieministerium) zu den vorhandenen Lagerstätten angetrieben. So wurden die ursprünglichen 15 Milliarden Barrel in der Monterey Shale Formation (das entsprach 64 Prozent der gesamten US Shale Reserven) im May 2011 schlagartig auf nur 600 Millionen revidiert. Schon in dem aktuellen - eigentlich immer noch sehr jungen- Entwicklungsstadium der Branche, werden mehr und mehr Bohrungen mit immer geringerem Output benötigt, um die Produktion überhaupt noch aufrecht zu halten. Einige Analysten widersprechen daher den Aussagen der US-Regierung, dass die Schiefervorkommen den USA auf 50 bis 100 Jahre Energieunabhängigkeit bescheren würden und prognostizieren schon für die kommenden Jahre steigende Kosten und rückläufige Fördermengen.

Die wesentliche Triebfeder hinter dem US-Schiefer-Boom war und ist jedoch, wie übrigens bei den meisten anderen Investitionsblasen auch, die im Verhältnis zum Risiko viel zu günstigen Finanzierungskonditionen. Die niedrigen Zinsen und gigantischen Asset-Kaufprogramme der Zentralbanken haben die renditehungrigen Anleger vermehrt in die höher verzinsten sogenannten „high yield“- und „junk bond“-Anlagen getrieben. Mit Hilfe des kräftig mitverdienenden „Mittelsmanns“ Wall Street fanden diese hoch riskanten Aktien und Anleihen großen Anklang bei den Investoren, was die Kurse steigen und im Umkehrschluss die Kapitalkosten für die Fracking-Unternehmen extrem fallen ließ.

Entsprechend hat die Geldflut der Zentralbanken nach der Finanzkrise unter Führung der US-Federal Reserve wesentlich zu dem Fracking-Boom, dem daraus entstehenden Überangebot an den Energiemärkten und den resultierenden niedrigen Energiepreisen beigetragen. Das günstige Geld führte zunächst zu einer übertriebenen Ausweitung der Produktionskapazitäten und verhinderte anschließend bis heute den bereinigenden Ausfall eigentlich unrentabler Unternehmen. Die meisten Fracking Unternehmen sind erst ab einem Ölpreis von 50 bis 80 Dollar pro Barrel rentabel. Sie sind aber selbst bei Kursen von 30 bis 40 Dollar dazu verdammt, mit Verlusten weiter zu produzieren, um wenigstens noch den Kapitaldienst leisten zu können und damit der drohenden Insolvenz zu entgehen. Ein Phänomen, welches übrigens auch in vielen anderen Branchen zu beobachten ist. Paradoxer Weise hat die eigentlich höchst inflationäre Geldpolitik damit vielerorts sogar disinflationäre bis deflationäre (preissenkende) Tendenzen ausgelöst, weil der Angebotsausweitung keine entsprechende Stärkung der Nachfrageseite gegenüberstand.

Die Summe dieser Indizien in Verbindung mit der - aus politischer Sicht doch sehr inkonsistenten - Aufhebung der Iran-Sanktionen im Jahr 2016 verleitet mich zu der These, dass die Vereinigten Staaten aktiv auf die anhaltende Angebotsschwemme am Öl-Markt hingewirkt haben. Im Ergebnis wurde die jahrzehntelange Preissetzungsmacht des OPEC-Kartells aufgebrochen. Selbst wenn, wie zuletzt mit Russland und Iran, große Nicht-OPEC-Öl-Exporteure geplanten Förderkürzungen zustimmen, reagiert die US-Shale-Industrie sofort auf jede nennenswerte Preissteigerung mit einer Ausweitung ihrer Produktion, füllt die entstandene Lücke wieder und drückt damit den Preis erneut.

Die Motivlage ist dabei wie im Folgenden dargelegt so einleuchtend, umfangreich und erdrückend wie sie nur sein könnte:

Allem voran ist die energiepolitische Unabhängigkeit und Sicherheit für ein Land mit globalen Machtansprüchen wie den Vereinigten Staaten von enormer Bedeutung - insbesondere dann, wenn die eigene Geopolitik eine jahrzehntelange Destabilisierung der wichtigsten Ölförderregion der Welt, dem Nahen Osten, nach sich zieht. Im Falle einer durchaus jederzeit wieder möglichen Öl-Krise - beispielsweise durch eine iranische Blockade der Straße von Hormus – wäre diese Versorgungssicherheit strategisch unbezahlbar und etwaige Rentabilitätsgesichtspunkte würden schlagartig unwichtig.

Ebenso wichtig dürfte, wie schon im ersten Teil dieses Artikels erläutert, der positive konjunkturelle Effekt der Ölpreissenkung und des Shale-Booms gewesen sein. Die gesunkenen Energiekosten haben den überschuldeten Haushalten und Unternehmen (nicht nur in den USA) wieder entscheidenden Spielraum verschafft und die gut bezahlten Jobs im Fracking-Business und verbundenen Branchen hatten ohne Zweifel einen bedeutsamen Anteil an dem, verglichen mit dem Rest der Industriestaaten, soliden Wachstum der USA nach der Krise.

Betrachtet man die sich zuspitzenden finanziellen Schwierigkeiten einiger Fördernationen, kommt man nicht umhin, den US-verschuldeten Kursverfall wortwörtlich als „Kampfpreis“ zu verstehen. Der „niedrige Ölpreis als Waffe“ übt enormen Druck auf die wenigen verbliebenen unabhängigen Öl-Exporteure aus, unter denen sich 3 der 4 von den USA auserkorenen „Schurkenstaaten“ befinden:

Das sozialistische Venezuela verfügt nach eigenen Angaben zwar über die größten Ölvorkommen der Welt, wurde aber durch den Preisrückgang direkt in eine tiefe und anhaltende Krise gestürzt. Die fatale Kombination von Hyperinflation, Hungersnöten und Volksaufständen führt in der Regel in absehbarer Zeit zum Zusammenbruch eines jeden Staates.

Natürlich wird auch der Iran eindeutig geschwächt, wenn auch - dank der Sanktionsaufhebung und zuvor jahrelang erduldeter Einschränkungen - weitaus weniger als Venezuela.

Vor allem aber könnte sich die „Ölwaffe“ gegen einen der wenigen ernstzunehmenden geopolitischen Gegenspieler der USA richten: Russland. Der starke Einbruch des Preises 2014 traf den Markt (möglicherweise nicht ganz zufällig) in direktem zeitlichen Zusammenhang mit Putins offener Gegenwehr in der Ukraine und in Syrien. Auch die verkündete Abkehr vom Petrodollar durch die Russisch-Chinesische Allianz könnte hier eine gewichtige Rolle gespielt haben.

Abschließend möchte ich noch die zunehmend gefährliche Konkurrenz für die gesamte Öl-Wirtschaft aus Richtung der Erneuerbaren Energien und der Elektromobilität erwähnt haben, die mit Sicherheit durch die niedrigen Energiepreise stark ausgebremst wird.

Es gibt also, insbesondere für die USA, sehr viele gute Gründe auch in den nächsten Jahren auf einen künstlich niedrigen Ölpreis hin zu wirken, von dem auch wir in Europa als Netto-Importeure stark profitieren. Die weiterhin auf die Kontrolle von Energie ausgerichtete US-Außenpolitik lässt mich darauf schließen, dass die Welt noch einige Jahrzehnte von den fossilen Brennstoffen abhängig sein wird. Da die Gewinnung des schwarzen Goldes mit immer komplexerer Förderung zunehmend mehr Energie verbraucht und sich seit einigen Jahren ein Investitionsstau abzeichnet, rechne ich mittelfristig wieder mit einer Erholung der Kurse, zumal die US-Shale Produktion bei dem aktuellen Kursniveau ihr Fördermaximum bereits erreicht haben dürfte. Langfristig bleibt zu hoffen, dass wir uns dank der technologischen Entwicklung irgendwann gänzlich von der umweltschädlichen Verbrennung dieses so vielseitigen Rohstoffes verabschieden können.

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GoldGeldWelt Gastautor

ist Diplom-Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Filialleiter eines Edelmetallhändlers in Hamburg. Seine Spezialgebiete sind physische Edelmetallinvestments, sowie Blockchain und Kryptowährungen. In seinen Marktanalysen beleuchtet er das wirtschaftspolitische Big Picture.

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