GoldGeldWelt Redaktion
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28.02.2016
Seit Jahren sind sich viele Experten einig, dass die maximale Kapazität der globalen Ölförderung erreicht ist (Peak Oil). In Nordamerika hat man in den letzten Jahren gezeigt, dass moderne Technologie in der Lage ist bisher ungeahnte Vorkommen zu erschließen. Viele amerikanische Ölfirmen sind hochverschuldet und seit dem jüngsten Ölpreisverfall nicht mehr profitabel. Ich möchte ein Szenario vorstellen, in dem faule Kredite für Fracking-Firmen die nächste globale Banken- und Finanzkrise auslösen könnten.
Die Fracking Revolution
Seit etwa 10 Jahren ist laut Daten von Crude Oil Peak und der U.S. Energy Information Administration (EIA) die konventionelle Produktionsmenge von Erdöl im weltweiten Mittel nicht mehr gestiegen. Bei einem Ölpreis von ca. 100 US-Dollar pro Fass (2011-2014) erstarkte jedoch die nordamerikanische Fracking-Industrie. Durch die Kombination von hydraulischer Frakturierung (Fracking) und horizontalen Bohrungen wurden große, bisher unerschlossene Lagerstätten des "schwarzen Goldes" plötzlich ökonomisch realisierbar. Die Investitionen in dem Sektor explodierten.
Dem American Petrolium Institute zufolge wurden im Jahr 2011 allein in den USA 65,5 Milliarden Dollar in Öl und Gas-Schieferbohrungen investiert. Dies entsprach einer Steigerung von über 87% zum Vorjahr. In den folgenden Jahren wurde die amerikanische "shale revolution" in den Medien gefeiert. Es wurden hunderte Milliarden Dollar in den Sektor investiert. Ein beachtlicher Teil des benötigten Kapitals wurde großzügig von Banken in Form von Krediten gewährt.
Endlich sollte die USA mehr Autonomität in ihrer Versorgung mit fossilen Brennstoffen bekommen. Das seit der Ölkrise im Jahr 1973 existierende Ölexportverbot der USA wurde vor kurzem nach über 40-jährigem Bestehen schrittweise aufgelöst. Amerikanisches Öl wurde auf dem Weltmarkt zugänglich.
Der Ölpreisverfall seit 2014
Dem Handelsblatt und dem Wall Street Journal zufolge erlaubte die US-Regierung im Juni 2014 erstmals ausgewählten Unternehmen eine ultraleichte Ölart an ausländische Firmen zu verkaufen, indem das Leichtöl als Treibstoff deklariert und für den internationalen Handel freigegeben wurde. Dies könnte der wesentliche Trigger für den Ölpreisverfall seit Juni 2014 gewesen sein.
Das Überangebot an Öl drückte den Preis weiter. Die Ölsorte "Brent" verlor bei einem Preis von 114 US-Dollar pro Fass im Sommer 2014 innerhalb von eineinhalb Jahren über 70% an Wert und wird heute bei knapp 35 US-Dollar pro Fass gehandelt.
Das Ölkartell OPEC diskutierte im Dezember 2015 auf seiner 168. Tagung in Wien, ob man die Ölproduktion zurückfahren sollte, um das weltweite Angebot zu verringern und somit dem Ölpreis zu stützen, entschied sich jedoch dagegen. Der Energieanalyst Marin Katusa erklärt in seinem Buch "The Colder War" das angespannte Verhältnis zwischen dem wichtigsten Ölförderer der OPEC (und der Welt) Saudi-Arabien und dem Iran, einem Land das über immense Ölvorkommen verfügt und seine Produktion und den Export deutlich erhöhen möchte.
Saudi-Arabien kann vermutlich trotz eines Defizits über mehrere Jahre einen extrem niedrigen Ölpreis verkraften. Problematischer wird es in den nächsten Jahren für vom Ölexport abhängige Staaten wie z. B. Argentinien, Nigeria und Russland.
Am problematischsten könnte es für die mit geliehenem Geld aufgepumpte amerikanische Shale Oil Industrie werden. Uli Pfauntsch, Chefredakteur des Börsenbriefes CompanyMaker geht davon aus, dass die ausstehenden Schulden der U.S. Shale Unternehmen sich in etwa auf 260 Milliarden Dollar belaufen müssten. Marin Katusa geht in einer aktuellen Analyse von etwa 220 Milliarden Dollar Schulden im nordamerikanischen Shale Oil Sektor aus. Hinweis: Dieser Artikel fukussiert sich auf Öl und vernachlässigt das Erdgas-Fracking (Shale Gas) und die vor allem in Kanada verbreitete Ölsand-Industrie, die für ein ganzheitliches Bild ebenfalls wichtig sind.
“The oil market is even more oversupplied than we had expected and we now forecast this surplus to persist in 2016" - Goldman Sachs Report
Goldman Sachs und Morgan Stanley zufolge ist ein Ölpreis von 20 US-Dollar pro Fass durchaus wahrscheinlich. Manche Analysten setzen sogar mutig ein 10 Dollar Preisziel für Öl, da sie neben dem Überangebot auch eine zukünftig verringerte Nachfrage (vor allem aus China) prognostizieren. Fadel Gheit, Senior Öl- und Gas-Analyst bei Oppenheimer & Co. geht davon aus, dass sich der Ölpreis zukünftig bei ca. 50 bis 60 US-Dollar pro Fass stabilisiert, was bedeuten würde, dass immernoch die Hälfte der US-Fracker pleite gehen wird, weil sie einen Ölpreis von 70 US-Dollar pro Fass benötigen, um profitabel zu sein.
"Half of the current [U.S. shale oil] producers have no legitimate right to be in a business where the price forecast even in a recovery is going to be between, say, $50, $60. They need $70 oil to survive" - Fadel Gheit
Letztes Jahr schätzte die Energieconsulting-Firma Wood Mackenzie, dass Ölprojekte in Nordamerika mit einem Gesamtwert von 1,5 Billionen US-Dollar bei einem Ölpreis von 50 Dollar unprofitabel sind.
Faule Kredite der amerikanischen Fracking- Blase
Falls der Ölpreis weiter fällt und/oder über Jahre keine Erholung auf ein für die amerikanischen Fracker nachhaltiges Preisniveau (z. B. 70 Dollar pro Fass) stattfindet, werden hunderte Milliarden US-Dollar an nicht bedienbaren Krediten in Bilanzbüchern von Banken und ihrer Kunden (die verbriefte Schulden oder Aktien als Anlage gekauft haben) stehen.
Marin Katusa von Katusa Research hat sich die Frage gestellt, was mit den Ölschulden passieren wird. Er hat drei Stichworte für uns: amend, extend & pretend (abändern, erweitern und vortäuschen).
Abändern und erweitern: Banken können insolvente Ölfirmen kaum zwangsversteigern wie ein Haus in der Immobilienkrise. Sie werden im eigenen Interesse versuchen die Unternehmen am Leben zu erhalten. Bestehende Verträge könnten abgeändert, gelockert und erweitert werden. Die Zinsen könnten gesenkt werden, die benötigten Kreditsicherheiten (collateral) verringert. Eine weitere realistische Möglichkeit ist, dass in der schieren Hoffnung auf eine drastische Erholung des Ölpreises noch mehr Geld verliehen wird.
Vortäuschen: Banken und betroffene amerikanische Ölunternehmen werden alles tun, um den Schein zu waren, alles sei in Ordnung. Banken werden das Risiko der massiven Insolvenz in den Medien nicht thematisieren bzw. herunterspielen und versuchen das Problem auszusitzen.
Die Schulden im amerikanischen Öl- und Gassektor werden weiter steigen
An Krediten für amerikanische Ölfirmen wird es also in nächster Zeit wahrscheinlich kaum mangeln. Marin Katusa zeigt in seinem Artikel "What Will Happen to all the Debt in the Oil Patch?" (Link unten) wie sehr die Schere zwischen genutzten und zur Verfügung stehenden Krediten für die amerikanische Ölindustrie auseinandergeht. Er prognostiziert, dass viele Shale-Firmen weitere Kredite annehmen und sich weiter verschulden werden.
Die Amerikaner sind von ihrer Frackingindustrie abhängig geworden
Scott Nyquist, Direktor bei McKinsey sah noch im Jahr 2013 eine große Zukunft in der amerikanischen Frackingindustrie. Er bezifferte die nötigen Investitionen zur Schaffung der Infrastruktur und zur Schaffung neuer Jobs im Sektor auf 1,4 Billionen US-Dollar (allein in den USA).
Die Jobs sind meiner Meinung nach genau das Kernproblem geworden. Die Stärkung des eigenen Energiesektors (auf Pump!) hat Zerohedge zufolge seit der Rezession in den 2000er Jahren in den USA 93% der ca. 10 Millionen geschaffenen Arbeitsplätze ausgemacht. Arbeitsplätze sind immer ein Politikum! Ob Clinton, Sanders, Trump oder sonst wer die US-amerikanische Präsidentschaftswahl gewinnen wird: Massenhaft Arbeitsplätze zu gefährden will sich kaum jemand leisten. Die amerikanische Shale Revolution ist, ob profitabel oder nicht, politisch gewollt! Das klingt mehr nach Planwirtschaft als Marktwirtschaft oder?
Blick Zurück: Faule Kredite der Immobilienblase 2007 führten zum Crash 2008
Ich sehe einige Ähnlichkeiten zur amerikanischen Immobilienblase, die 2007 platzte (Subprimekrise) und die in einer Kettenreaktion schließlich zur globalen Finanzkrise in den Jahren 2008/ 2009 anschwoll, bei der reihenweise Banken und Finanzdienstleister pleite gingen und manche "systemrelevante" Banken schließlich von Notenbanken und Steuerzahlern "gerettet" werden mussten.
Nach dem Börsencrash im Jahr 2000 flüchteten sich viele Anleger von Aktien in Immobilien. Befeuert von einer Notenbankpolitik des billigen Geldes, niedrigen Zinsen und der Möglichkeit für fast Jedermann mit 0% Anzahlung Immobilien auf Kredit zu erwerben, wurden von Banken massenhaft Kredite vergeben, die später nicht bedient werden konnten. Diese Kredite wurden gebündelt als Derivate (collateralized debt obligations, CDOs) weiterverkauft.
Das Platzen der amerikanischen Immobilienblase traf schließlich nicht nur die Banken, sondern auch ausländische Investoren wie z. B. Pensionsfonds, die solche Papiere (teils mit AAA-Ratings) gekauft hatten. Beladen mit Schuldscheinen, die nicht bedient werden konnten, meldeten mehrere Banken und Finanzdienstleister Insolvenz an unter anderem auch Großbanken wie Lehman Brothers. Eine dramatische Kettenreaktion konnte nur durch massive Geldmarktinterventionen der Notenbanken verhindert werden. Der Dow Jones Industrial Average (DJIA) verlor zwischen Oktober 2007 und März 2009 über 50% seines Wertes. Auch der DAX halbierte seinen Wert in dieser Zeit.
Bankeninsolvenz oder Weiterreichung der Risiken an Andere?
Sollte sich der Ölpreis in den nächsten Jahren nicht deutlich und nachhaltig erholen, könnten stark im amerikanischen Frackinggeschäft involvierte Banken in eine ähnliche Situation kommen wie in den Jahren 2007/2008 und eine Insolvenzwelle anstoßen.
Kurz eine wichtige Gegenthese zur Banken-Insolvenzwelle: Sehr lesenswert ist in diesem Zusammenhang der Artikel "Wie die Wallstreet den Shale-Boom finanzierte!" von Uli Pfauntsch (Link unten). Hier wird beschrieben, wie amerikanische Banken wie JP Morgan ihre Verbindlichkeiten bereits zum Teil umstrukturiert und Risiken an Dritte (z. B. an Publikumsfonds, Pensionsfonds, Staatsfonds) weitergereicht haben.
"Banken haben es diesmal gut „gemanagt“, Risiken an andere Investoren abzugeben. Ein Massensterben von Banken, wie zur Ölkrise in den 80er Jahren, ist unwahrscheinlich." - Uli Pfauntsch
Könnte es also zu einer Umverteilung der Schulden von JP Morgan und Co. auf naive Fondssparer auf der ganzen Welt und andere Investoren kommen? Zumindest zur Zeit ist dies ein realistisches Szenario.
Seit dem Fall des Ölpreises ist die amerikanische Fracking-Industrie jedoch zu erheblichen Einschnitten zwecks Kostenreduzierung, inklusive einem Abbau an Arbeitsplätzen, gezwungen. Die Kurse der meisten Shale-Produzenten sind stark gefallen. Trotz bereits eingepreistem Verlustrisiko ist vielen Anlegern die Lust auf amerikanische Frackingfirmen vergangen.
Sollte Marin Katusa recht behalten und die Schulden der Ölproduzenten werden weiter steigen? Können amerikanische Investmentsbanken dann ihre Risiken weiterhin auf Andere abwälzen, wenn jeder weiß, dass die Ölfirmen einen höheren Ölpreis so dringend brauchen wie ein Ertrinkender das Wasser?
Quellen:
American Petrolium Institute:
Investment in U.S. shale well drilling surges in 2011 (April 2013)
Handelsblatt:
USA lockern klammheimlich ihr Ölexportverbot (Juni 2014)
Manager Magazin:
USA heben Öl-Exportverbot gut 40 Jahre nach der Ölkrise auf (Dez. 2015)
FuelFix:
Five things to know about Friday's OPEC meeting in Vienna (Dez. 2015)
OPEC:
OPEC 168th meeting concludes (Dez. 2015)
CompanyMaker:
Wie die Wallstreet den Shale-Boom finanzierte (Nov. 2015)
Bloomberg:
How Low Can Oil Go? Goldman Says $20 a Barrel Is a Possibility (Sept. 2015)
CNBC:
Half of US shale drillers may go bankrupt: Oppenheimer's Gheit (Jan. 2016)
Stockpickssystem:
The Housing Market Crash of 2007 and what caused the crash (Dez. 2011)
Katusa Research:
What Will Happen to all the Debt in the Oil Patch? (Feb. 2016)
McKinsey&Company:
The US growth opportunity in shale oil and gas (Aug. 2013)
Zerohedge:
Jobs: Shale States vs Non-Shale States (Dez. 2014)